Wir haben eine gewisse Vorstellung von italienischen Essgewohnheiten. Die multigenerationale Familie sitzt gemeinsam am Tisch. Die Speisenfolge ist reichhaltig. Dem Antipasto folgt ein „Primo“, und dem ein „Secondo“. Früchte, Dessert und Kaffee schließen die gemeinsame Mahlzeit ab. Und das sowohl beim Mittagessen als auch beim Abendessen. Man nimmt sich Zeit, an Wochentagen circa neunzig Minuten, an Wochenenden auch mal bis zu drei Stunden.
Dieses romantisierte Bild ist längst überholt. Es hat mit der modernen italienischen Gesellschaft nur noch wenig gemein. Der gesellschaftliche Wandel ist auch an den Italienern nicht spurlos vorbeigezogen. Das Leben in einer modernen Gesellschaft ist zunehmend hektisch. Ein Haushalt braucht in der Regel zwei Einkommen, um über die Runden zu kommen. Arbeitsangebote bringen geografische Distanz zwischen die Generationen einer Familie, und das wachsende Gesundheitsbewusstsein zwingt uns, alte Essgewohnheiten zu überdenken. Besonders in der Mittagszeit hat der schnelle Snack das traditionelle Mittagessen fast verdrängt.
Schnelle Snacks – nichts Neues auf der Halbinsel
Doch etwas gänzlich Neues ist das nicht. Die schnelle Mahlzeit unterwegs, oder das Streetfood, hatte schon im alten Rom einen festen Platz in der Gesellschaft.
Die große Mehrheit der Stadtbewohner wohnte in Insulae, die wir mit großen Mietshäusern vergleichen können. Oft nahmen diese Insulae ganze Straßenblocks ein. In der Kaiserzeit gab es über 45000 dieser Mietskasernen in Rom. In diesen Gebäuden gab es keine Küchen. Man konnte zwar in Feuerschalen kleinere Speisen in den Zimmern aufwärmen, doch richtiges Kochen ermöglichten sie nicht. Feuerholz und Holzkohle waren auch nicht billig.
Das Jentaculum (Frühstück) fiel deshalb meist spärlich aus. Das gemeine Volk aß Puls, eine Dinkelgrütze die als Grundnahrungsmittel diente. Puls konnte man in größeren Kesseln im Hof auf Vorrat kochen und es war in Tongefäßen bis zu sieben Tage auch bei Zimmertemperatur haltbar.
Die Mittagsmahlzeit, das Prandium, nahm man zu sich, während man sein Tagesgeschäft erledigte. Zahlreiche Imbissbuden und Bauchladenhändler boten kleine warme und kalte Gerichte an. Es gab billige „Absteigen“ (Gurguntium), einfache Lokale (popinae), bessere Gaststätten (Thermopolium), die auch Wein zum Essen anboten. Und außerhalb des Stadtgebietes konnte man in Landgasthöfen (cauponae) nach dem Essen auch übernachten. Wer etwas Geld zur Verfügung hatte, aß auch abends (Cena) oft außer Haus. Wer arm war, ging nach Hause und aß noch eine Portion Puls vor dem Schlafengehen. Die Tradition des gemeinsamen Essens in der Familie oder der Hofgemeinschaft ist also eher auf die mittelalterliche Agrargesellschaft zurückzuführen.
Die Streetfood-Szene in Rom
Kulinarisch hat sich in Rom in den letzten Jahren so einiges getan. Die Römer sind probierfreudiger geworden. Vor einigen Jahren war es sehr schwer diverse ethnische Speisen in Rom zu finden. Heute ist das Angebot internationaler Küche so vielfältig wie auch in anderen Städten. Auch die Coronakrise hat zur Besserung beigetragen. Die in Bedrängnis geratenen Gastronomen mussten auf die schlimmen wirtschaftlichen Folgen in der Branche reagieren. Man überlebt nur, wenn man sich von der Konkurrenz abhebt. Das erreicht man entweder durch herausragende Qualität oder durch Kreativität und Innovation. Und das merkt man auch in der Streetfood-Szene. All diejenigen, die zu Hause gerne nach „der besten Bratwurst“ oder „dem besten Fleischkäsebrötchen“ suchen, kommen auch in Rom auf ihre Kosten. Rom lädt zum Erkunden und Probieren ein, mit traditionellen und innovativen Streetfood-Delikatessen. Die folgenden Leckereien sollte man deshalb unbedingt einmal ausprobieren:
Die Klassiker
Jeder der schonmal in Rom war kennt das „Panino“. Ein frisches Brötchen, dass in der Mittagspause vom Lebensmittelhändler mit Parmaschinken belegt wird. Doch wie der Name des Schinkens schon verrät, hat er mit Rom rein gar nichts am Hut. Wer es gerne typisch mag greift in Rom zu „Pizza e Mortazza“, ein Stück weiße Pizza, aufgeschnitten und üppig mit frisch geschnittener Mortadella belegt, ein absolutes Streetfood-Must. Alternativ greift man zum „Panino con Porchetta“. Porchetta kommt nicht direkt aus Rom, doch aus der unmittelbaren Umgebung. Das mit magerem Fleisch, fettigem Bauch und knuspriger Schwarte belegte Brötchen spült man am besten mit ein paar Gläsern trockenem Weißwein herunter. Trinkt man ein paar Gläser zu viel, hilft ein in Bierteig frittiertes Stück Stockfisch. Der „Baccala fritto“ ist schon seit dem Mittelalter in Rom beliebt.
Auferstanden aus Ruinen
Ein anderes Gericht, das seinen Ursprung schon im frühen Mittelalter hat, ist die „Pinsa Romana“, ein Pizza-Urahn, der in Rom ein großes Comeback feiert. Im Unterschied zur Pizza, wo der rohe Teig gemeinsam mit dem Belag in den Ofen kommt, wird bei der Pinsa der Teigboden leicht vorgebacken. Diese “Pinsabrote” werden dann belegt und kommen vor dem Servieren nur noch ein paar Minuten bei 400 Grad Celsius in den Ofen. Fast jede Pinseria entwickelt ihr eigenes Rezept für den Boden. Locker, luftig, fluffig und knusprig muss er sein. Dem Weizenmehl und Hartweizengrieß werden anteilig Soja-, Reis- oder Tapiokamehl beigemischt. Die Gärzeit liegt bei 49 bis 72 Stunden. Garniert werden sie klassisch, saisonal und kreativ. Einer meiner Favoriten ist die „Pinsa Carbonara“, mit würziger Zabaione, Backenspeck und Pecorino.
Ein Reisbällchen mit langer Leitung
Wer in Rom „streedfoodelt“ kommt am Suppli nicht vorbei. Rom ist bekannt für seine frittierten Vorspeisen. Nicht umsonst sagt der Römer „fritto e buono tutto!“ (frittiert schmeckt alles). Der Klassiker, das „Suppli al telefono“, ist ein Reisbällchen aus Tomatenreis mit einem großen Stück Mozzarella in der Mitte. In Paniermehl gerollt und frittiert zieht der heiße Käse lange Fäden, wenn man es aufbricht - wie ein Telefonkabel eben. Das Suppli hat schon lange seinen Weg aus den Pizzerien auf die Märkte und in die Foodtrucks geschafft. Heute gibt es Suppli in allen Formen und Füllungen, beispielsweise mit Pistazienreis, oder quadratisch statt rund. Die Quadratischen nannte der Erfinder dann „Quppli“. Wer noch mehr über die Märkte in Rom erfahren möchte, sollte sich unser Youtube-Video Märkte in Rom nicht entgehen lassen oder kann in Jules Blog-Beitrag nochmal alles nachlesen.
Ein römisches Dreiecks-Sandwich
Wer Italien kennt, der kennt auch Tramezzini. Blasse, dreieckige belegte Toastbrotscheiben, für den schnellen Hunger zwischendurch. Doch wir Teutonen sind Brotkenner, und ungetoastetes Toastbrot haut uns nicht gerade vom Hocker. Auch Chef Stefano Callegari aus dem Stadtviertel Testaccio fand Tramezzini so altmodisch wie russische Eier. Deshalb erfand er das „Trapizzino“, ein Hybrid aus Sandwich und Pizza. Ein Trapizzino ist eine luftig, knusprige, dreieckige Pizzatasche, die je nach Geschmack mit Fleischbällchen in Tomatensoße, veganem Ratatouille, Burrata und Sardellen oder würzigem Ragout aus Huhn, Zwiebeln und Paprika gefüllt ist. Ein Trapizzino ist ein luftig-knusprig-saftig-würziges Geschmackserlebnis. Mittlerweile gibt es Filialen in der ganzen Stadt, und seit 2017 ist das Trapizzino auch in New York zu Hause. In Rom könnt ihr das Trapizzino im Stadtviertel Trastevere probieren.
Habe ich euch den Mund wässrig gemacht? Wer unser römisches Streetfood gerne verköstigen will und leckere Optionen sucht, schaut sich am Besten unser Youtube-Video Streetfood in Rom an. Und falls ihr mit uns von der Deutschen Römerin auch eine Foodtour machen möchtet, dann haben wir hier die passende Tour für euch! Guten Appetit und buon appetito!
Verfasst von Niels Arne Dilger im März 2022.